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Raimund Müller: Der Mann, der dem Wind Gesichter gibt

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Raimund Müller: Der Mann, der dem Wind Gesichter gibt

 

#RegioGespräch: Wie aus einer Hausrenovierung eine Lebensberufung wurde – Besuch beim letzten Wetterfahnenmacher der Ortenau

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Ein Fachwerkhaus in Holzhausen, selbst gebackener Kuchen und die Geschichte eines Mannes, der Wetterfahnen nicht nur fertigt, sondern ihnen Seele einhaucht. Raimund Müller hat aus einer spontanen Idee eine 30-jährige Passion gemacht – und dabei bewiesen, dass Glück manchmal nur einen Windhauch entfernt liegt.

12. Dezember 2024, Holzhausen, apg: „Seid gegrüsset, ehrbare Bürger!" – So begrüßt Raimund Müller seine Kunden auf seiner Webseite, und diese altertümliche Anrede ist keineswegs Koketterie. Sie spiegelt die Seele eines Mannes wider, der in seiner Werkstatt Unikate erschafft, die weit mehr sind als nur Windrichtungsanzeiger. Jede seiner Wetterfahnen erzählt eine Geschichte.

Der 1956 geborene Handwerker empfängt Besucher in seinem liebevoll restaurierten Fachwerkhaus, umgeben von einem gepflegten Garten, in dem Hühner zwischen exotischen Gewächsen wie Malabar-Spinat und Indianerbananen picken. Zwei Jahre lang hat er an diesem Schmuckstück gearbeitet, bis es bewohnbar war – weitere zwei Jahre vergingen, bis der zweite Stock für die Kinder ausgebaut war. „Das war so meine Vision: ein kleiner Bauernhof, ein paar Kinder und auf dem Land wohnen", erzählt er bei Kaffee und selbst gebackenem Kuchen.

Die Einrichtung ist ein Gesamtkunstwerk: Handgeschnitzte Wikinger-Motive zieren selbst gefertigte Möbel, mittelalterliche Fahnen hängen diskret im Hintergrund. „Fast alles habe ich selber gemacht“, sagt Raimund nicht ohne Stolz. „Die Stühle habe ich mal gekauft, aber die waren mir zu hell." Für jedes seiner fünf Kinder schnitzte er zur Geburt ein Möbelstück (Wiege, Truhe) – nordische Motive für die einen, andere Symbole für die anderen. Diese Liebe zum Detail und zur Handwerkskunst durchzieht sein ganzes Leben.

WetterfahnenmacherDass aus diesem Lebenstraum eine außergewöhnliche Berufung entstehen sollte, ahnte damals niemand. 1997, einige Jahre nach dem Einzug, suchte Raimund noch das „Sahnehäubchen“ für sein renoviertes Domizil. Bei seinem Hufschmied in der Nachbarortschaft Kittersburg entdeckte er eine Wetterfahne – einen Ritter, der mit der Lanze den Wind angreift. „Das hat mich fasziniert“, erinnert sich der gelernte Verwaltungsangestellte, der 45 Jahre lang unzufrieden im Büro arbeitete. „Man hat immer gesehen, woher der Wind kommt."

Die Geschichte dieser Wetterfahne bewegte ihn: Sie stammte vom Großvater des Schmieds aus dem Jahr 1900, war im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs verschwunden und Jahre später auf einem Speicher wiedergefunden worden. Ein neuer Nachbar hatte das Haus gekauft und den alten Schatz entdeckt – „Schaut, was ich im Speicher gefunden habe!" Die Wetterfahne kehrte an ihren angestammten Platz zurück. „Da habe ich zu mir gesagt: Jetzt machst du dir selber eine", lacht Raimund.

Der Weg zur Meisterschaft

Was als Hobby begann, entwickelte sich ruckzuck zu einem florierenden Geschäft. Freunde und Bekannte wurden aufmerksam, bestellten ebenfalls Wetterfahnen, und binnen eines Jahres war Raimund auf Kunsthandwerkermärkten in Baden-Württemberg, der Pfalz und dem Rheinland unterwegs. Sogar auf Mittelaltermärkten erhielt er Gagen, weil er ein altes Handwerk vorführte.

Die Leidenschaft für das Handwerk ließ ihn über sich hinauswachsen. Anfangs sägte er noch mit der Laubsäge, was „wahnsinnig langsam“ ging. Dann entdeckte er die starke, elektrische Stichsäge mit speziellen Blättern – „das ging schon flotter“. Auch beim Material entwickelte er sich weiter: Von anfangs 3 Millimeter starkem Alublech wechselte er zu 2 Millimeter, „weil es wesentlich leichter ist, aber mit den richtigen Streben genauso stabil“.

Wussten Sie schon?
- Wetterfahnen gibt es bereits seit der Antike – schon die alten Griechen kannten sie vor 2000 Jahren

- Die Wikinger nutzten Wetterfahnen auf ihren Schiffen zur Navigation
- Der erste Wetterhahn auf einem Kirchturm wurde um 900 n. Chr. in Brescia, Italien, installiert
- Der Hahn sollte die Christenheit an den Verrat des Petrus erinnern und vor Glaubensabfall warnen
- Später übernahm der Adel die Wetterfahnen als Statussymbol mit eigenen Wappen und Logos
- Im Bürgertum wurden sie zum Zeichen von Wohlstand und Status
- Heute kostet eine handgefertigte Wetterfahne von Raimund Müller zwischen 500 und 1000 € - vergoldet mehr. 

Geschichten in Metall

WetterfahnenmacherJede Wetterfahne ist ein Unikat, entstanden aus persönlichen Geschichten der Auftraggeber. Da gibt es den berühmten „Bachschiesser“ für einen Pfälzer Kunden – eine Figur, die über einen Bachsteg sitzt und ihr Geschäft verrichtet, während im Hintergrund die Dorfsilhouette erkennbar ist. „Das war der Kosename für die Dorfbewohner“, erklärt Raimund lachend. Oder eine freche besenfliegende Hexe mit nacktem …, bei der er augenzwinkernd verrät: „Die hat zwei linke Füße – das hat nur ein kleiner Bub bei einer Ausstellung bemerkt."

Ein besonders bewegendes Projekt war die Wetterfahne für eine Glaserei. „In ihrem Logo ist eine dreieckige Scheibe. Ich habe gesagt: „Wenn ich schon einen Glaser mache, dann verwende ich keine quadratische, sondern ihr Logo.“ Eine weitere Kundin wollte sie ihrem Opa schenken, der seit Generationen Christbaumkugeln aus Glas herstellt. „Später hat sie angerufen und gesagt, ihr Opa hat geweint vor Rührung“, erzählt Raimund stolz.

Auch für die Ingersoll-Uhren-Firma fertigte er eine Wetterfahne an. „Das ist eine amerikanische Armbanduhr-Marke, die weltweit verkauft wird. Den Schriftzug gibt es seit 100 Jahren, der sollte unbedingt dabei sein.“ Solche Aufträge zeigen die Bandbreite seines Schaffens – von persönlichen Motiven bis zu Firmenlogos.

Ein Höhepunkt seiner Laufbahn war der sechswöchige Aufenthalt im Europa-Park, wo er von Herrn Mack persönlich eingeladen wurde, sein Handwerk vorzuführen. „Jeden Tag von 8 Uhr morgens bis der letzte Besucher draußen war", erinnert sich Raimund. „Nur am Heiligabend waren wir zu Hause." Dort entstand eine seiner aufwändigsten Arbeiten – sechs bis acht Stunden täglich über sechs Wochen. „Das würde ich nicht mehr machen", gibt er zu. „Es war hart und lang."

Zwischen Tradition und Moderne

„Wichtig ist, dass eine Verbindung zu den Menschen da ist", erklärt der Wetterfahnenmacher sein Erfolgsrezept. Seine Kunden erzählen ihm Geschichten aus ihrem Leben, geben Stichworte, und er verwandelt diese in kunstvolle Silhouetten aus nicht rostendem Material. „Wenn mir jemand erzählt, wie er lebt, dann blitzt mir oft schon während des Gesprächs der fertige Entwurf im Kopf auf."

Die Technik hat sich über die Jahre verfeinert. Heute verwendet er die beste Grundierfarbe, die er finden kann – „sauteuer, 80 € für solch einen Pott, aber sie hält ewig". Seine Befestigungsmethoden sind durchdacht: Das Rohr wird eingefettet, die Wetterfahne läuft auf Edelstahl- oder Glaskugeln – „besser als jedes Kugellager, weil, wenn da mal eine Kugel festsitzt, sich das immer noch dreht“.

Dennoch macht sich Raimund Gedanken über die Zukunft des Handwerks. Oft wird er gefragt, warum er nicht alles mit Laser oder Wasserstrahl schneiden lässt. „Aber dann bin ich kein Handwerker mehr", sagt er nachdenklich. Sogar Anfragen aus China erhielt er – unverständliche E-Mails, die wohl eine Zusammenarbeit anbahnten. „Das will ich nicht. Was mich begeistert, sind die Geschichten der Menschen, die persönlichen Begegnungen."

Wie Johann Wolfgang von Goethe einst sagte:

„Wer sich den Gesetzen nicht fügen lernt,
muss die Gegend verlassen, wo sie gelten."

Raimund Müller hat sich den Gesetzen seiner Passion gefügt und dabei eine erfüllende Alternative zum ungeliebten Bürojob gefunden.

Die Philosophie eines Handwerkers

Nach einer Herzoperation meldete Raimund sein Geschäft offiziell ab, doch wie bei einem leidenschaftlichen Sammler oder Sportler lässt ihn sein Handwerk nicht los. „Das ist wie bei einem, der Briefmarken sammelt oder joggen geht", schmunzelt er. „Abends fällt mir eine neue Idee ein, und die muss ich einfach umsetzen." So entstehen weiterhin Wetterfahnen in seiner Werkstatt – mal ein Wildschweinenkopf mit Bollenhut für einen Jäger, mal ein Schwarzwälder Fuchs für die regionale Identität. Heute ist es nur noch Hobby, kein Geschäft mehr.

Seine Botschaft an junge Menschen ist eindeutig und aus Erfahrung geboren: „Lernt etwas, was euch Spaß macht. Nicht zuerst aufs Geld gucken. Wenn ihr in dem Beruf gut seid, der euch Freude macht, dann öffnen sich von alleine die Türen, und das Geld kommt von selbst." Diese Philosophie hat er erfolgreich an seine fünf Kinder weitergegeben – vom Koch über den Metzgermeister bis zur Yogalehrerin und der Krankenhaus-OP-Assistentin haben alle einen Beruf gefunden, der sie erfüllt.

„Ich habe 45 Jahre lang etwas gemacht, was mich ankotzt, jeden Morgen in dieses Büro", reflektiert er heute. Eine schwere Krankheit in jungen Jahren hatte ihn damals ins Büro gedrängt – „du darfst nicht draußen arbeiten, musst unter Dach, nicht nass werden und nicht in die Kälte". Heute ist er dankbar für diesen Umweg: „Ohne die Bürozeit hätte ich abends nie die Kraft gehabt, all diese handwerklichen Projekte zu verwirklichen."

Blick in die Zukunft

Die Nachfolge beschäftigt den 73-Jährigen. Seine Enkel zeigen unterschiedliche Begabungen: Der älteste studiert Wirtschaftspsychologie, der nächste wird Landwirt, Enkelin Angelina träumt von einer Karriere als Kostümbildnerin am Theater. „Die kann zeichnen, traut sich aber nicht so an die Maschinen", überlegt Raimund. „Es muss ja nicht hauptberuflich sein."

Die Digitalisierung sieht er mit gemischten Gefühlen. KI und Lasertechnik könnten sein Handwerk revolutionieren, aber: „Die Kreativität kann die KI nicht übernehmen. Sie kann nur Bruchstücke von dem zusammensetzen, was andere schon mal gedacht haben." Dennoch gibt es immer Menschen, die das Persönliche, Handgemachte schätzen – manche Kunden bestehen sogar darauf, dass er seine Initialen „RM" in die Wetterfahne einarbeitet.

In seinem Atelier, einer ehemaligen kleinen Wohnung im Haus, stehen bereits einige vorgefertigte Wetterfahnen bereit. „Manchmal kommt einer und sagt: Haben Sie nichts da? Dann nehmen sie eins mit", lacht er. Meist führt das zu neuen Aufträgen mit persönlichen Geschichten.

Besuchen Sie Raimund Müllers Website https://wetterfahnenmacher.de und lassen Sie sich von der Vielfalt seiner Kreationen inspirieren. Vielleicht entdecken Sie dabei Ihre eigene Geschichte, die der Wind erzählen könnte. Seine Werkstatt in Holzhausen ist nach Voranmeldung besuchbar – ein Erlebnis für alle, die authentisches Handwerk schätzen. Übrigens: Mehr über Raimunds bewegtes Leben erfahren Sie in seinem autobiografischen Roman (ISBN 3-00-018012-5) – eine weitere Facette dieses vielseitigen Künstlers, der bewiesen hat, dass es nie zu spät ist, der eigenen Leidenschaft zu folgen und dabei anderen Menschen Freude zu bereiten.