Friday, der 29 März 2024
 
 

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Der Mantel der Meerfrau

Märchen

Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

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Der Mantel der Meerfrau

 

Ganz nah am Meer lebte einst eine Fischerswitwe, die hatte nichts als ihr kleines Mädchen und sie wohnten beide in einer ärmlichen, kleinen Kate. Das kostbarste, was sie besaßen, waren die langen Haare. Die Mutter hatte schwarze lange Haare, die Tochter blonde. Die Mutter war eine geschickte Weberin und sie lebten von dem, was die gewebten Sachen einbrachten.

Das Kind liebte das Meer und ging jeden Tag an den Strand, wo es so gern mit Sand und Muscheln spielte. Oft trippelte sie zu den heranrollenden Wellen und spielte mit ihnen. Die Mutter sah das immer mit Sorge, sie konnte nicht
vergessen, dass das Meer ihr vor einigen Jahren den Mann weggenommen hatte. Eines Abends kam das Kind nicht wie sonst nach Hause.

Die Mutter lief zum Meer und suchte ihr Kind. Aber sie konnte es nirgends finden. Mit großer Angst blickte sie hinaus auf das Meer. Plötzlich hörte sie ein Singen vom Wasser her. Sie trat dicht ans Ufer und sah eine schöne Frau, die
bis zur Hüfte aus dem Wasser emportauchte und sich singend wiegte:

„Im Schloss aus Kristall
die Fische mir dienen,
und die Kinder all,
sie spielen mit ihnen.
Singen und tanzen tief unten im Meer,
keines von ihnen gebe ich her.“

Da ahnte die Mutter, dass die Meerfrau ihr Kind geraubt hatte und sie rief: „Wo ist mein Kind?“ Die Meerfrau schwamm an das Ufer, setzte sich auf einen Stein.
Doch was war das für ein seltsamer Unterleib! Es waren keine Beine, aber ein Fischschwanz mit Flosse war es auch nicht. Vielmehr sah der Unterleib aus wie
die Fangarme eines riesigen Tintenfisches.

Die Meerfrau sprach im eindringlichen Ton: „Das Meer darf kein Menschenleben, was es sich einmal genommen hat, an die Erde zurückgeben
– nie und nimmer. Das ist das Gesetz des Meeres.“

Die Mutter aber flehte: „Lass mich meine Tochter sehen! Ich will wissen, wie es ihr geht.“ Sie forderte, sie bat und flehte so lange, bis die Meerfrau endlich sagte: „Wenn du mir tausend Meilen weit und tausend Klafter tief ins Wasser folgst, sollst du dein Kind wiedersehen. Es ist ein weiter Weg. Hast du den Mut dazu?“ Die Frau überwand ihre Angst, hielt sich am Rücken der Meerfrau fest und umschlang den seltsamen Unterleib mit ihren Beinen. Schon glitten sie dahin, durch die Wellen und dann hinab in die tiefe Finsternis.

Endlich strahlte aus der Tiefe ein Lichtschimmer auf, die beiden sanken hinab in den prächtigen Palast der Meerfrau. Das Dach war gebaut aus vielerlei zierlichen Muscheln, die Mauern aus farbenfrohen Korallen, die Fenster aus Kristall und überall waren kunstvolle Mosaike aus kostbaren Perlen. Durch eine glasklare Wand sah die Mutter in einen hell erleuchteten Saal, dort spielten die Kinder ausgelassen miteinander, schwammen mit den Fischen und lachten.

Die Mutter sah ihre Tochter in der fröhlichen Schar! Sie rief sie an, aber das Kind hörte sie nicht, und die Meerfrau sagte: „Du hast dein Kind gesehen, hast gesehen, dass es glücklich ist, nun gib dich zufrieden!“ Und in Windeseile brachte sie die Mutter zurück.

Die Mutter aber verlangte: „Gib mir mein Kind zurück! Gib es zurück!“ Schließlich überlegte die Meerfrau, schaute an ihrem Körper hinunter und schlug der Mutter ein Geschäft vor: „Nun gut, wenn du mir aus deinen schönen langen Haaren einen Umhang webst, der meinen ganzen Körper bedeckt, dann sollst du dein Kind wiederhaben!“ Sie gab der Mutter eine Salbe für die Kopfhaut, damit das abgeschnittene Haar schnell wieder nachwachse.

Die Weberin eilte nach Hause, schnitt sich das nachtdunkle Haar ab und webte Tag und Nacht. Sie nähte einen Umhang daraus, und beim nächsten Vollmond ging sie damit zum Stein am Strand, wo die Meerfrau auf sie wartete. Aber der Umhang reichte nur bis zum Gürtel. „Er ist zu kurz, viel zu kurz!“ rief sie und warf ihn der Weberin vor die Füße.

Der Mutter daheim wuchsen die Haare nur langsam, sie musste viele Jahre warten, bis sie nachgewachsen waren, und sie waren nicht mehr nachtschwarz, sondern ganz weiß vor lauter Kummer! Damit webte sie weiter, und als erneut der Vollmond aufstieg, legte sie den Umhang der Meerfrau um. Aber die warf das Gewebe von sich und rief: „Er ist immer noch zu kurz, ich kann diese Fangarme nicht darunter verstecken. Und wie sieht er aus, oben schwarz, unten weiß!“

An diesem Abend trug die Meerfrau, ohne es zu wissen, ein einzelnes Haar der Mutter in ihr Schloss zurück. Kaum hatte das Kind es berührt, erinnerte es sich plötzlich an die Mutter, rief nach ihr und suchte eine Tür, um das Schloss zu verlassen, aber alle Türen waren verschlossen.

Da begegnete dem Mädchen eine uralte Schildkröte, der klagte sie ihr Leid. Und die Schildkröte wusste Rat: „Schneide dir dein blondes Haar ab, ich werde es deiner Mutter bringen, damit sie den Mantel fertig nähen kann. Aber verbirg deinen kahlen Kopf unter einem Algenschmuck, und sei fröhlich wie sonst.“ Sie brachte die blonden Haare auf den Stein am Ufer, wo die Mutter sie fand und erkannte, dass es die Haare ihrer Tochter waren.

Dankbar sah sie in den Sternenhimmel, und da wusste sie, wie der Stoff aussehen sollte. Sie trennte das bisher Entstandene geduldig auf und webte dann einen nachtdunklen Stoff mit silbernen und goldenen Sternen darin.

Als der Vollmond über dem Meer leuchtete, war der Mantel fertig. Die Meerfrau saß auf dem Stein, hielt ihn gegen das Mondlicht, lächelte und sagte: „Er ist lang, er ist schön. Du sollst dein Kind nun wiedersehn.“

Während der vielen Jahre war die Tochter zu einer schönen jungen Frau herangewachsen. Und weil die Meerfrau das Mädchen so gern hatte, schenkte sie ihr ein Kästchen mit wertvollen Perlen und Kristallen und brachte sie zurück nach Hause.

Am Strand wartete die Mutter und alle Dorfbewohner. Freudig wurde das Mädchen empfangen. Ein Fest wurde gefeiert, viele Tage lang. Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.
Erzählfassung: Katrin Bamberg
(nach einem alten Nordseemärchen)

katrin bamberg